Wann besteht eine Anmeldung die umstrittene neue Plausibilitätsprüfung des EPA nicht?

News | 25.10.2023

Wann besteht eine Anmeldung die umstrittene neue Plausibilitätsprüfung des EPA nicht?

Unter den Europäischen Patentanwälten besteht weiterhin Unklarheit hinsichtlich der Bedeutung des in der Plausibilitätsentscheidung G 2/21 festgelegt neuen Maßstabs für die Zulässigkeit nachveröffentlichter Daten zum Nachweis einer erfinderischen Tätigkeit. Im vorliegenden Beitrag erörtern Adam Lacy, Partner im London Office, und Stephan Disser, Partner im Münchner Büro, die Entscheidung T 258/21, in der dieser neue Maßstab erstmals mit dem Ergebnis anwendet wird, dass eine Berücksichtigung neuer Daten nicht möglich ist.
 
G 2/21, Leitsatz, Punkt II, stellte fest:
 
Ein Patentanmelder oder -inhaber kann sich zum Nachweis der erfinderischen Tätigkeit auf eine technische Wirkung berufen, wenn der Fachmann ausgehend vom allgemeinen Fachwissen und auf der Grundlage der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung schlussfolgern würde, dass diese Wirkung von der technischen Lehre umfasst und von derselben ursprünglich offenbarten Erfindung verkörpert wird.
 
Der Formulierung dieses Tests ließ viele Fragen offen, wie hier diskutiert wird. T 258/21 hilft den Nutzern des EPA zu verstehen, wie die Beschwerdekammern den Test in Zukunft anwenden könnten, indem ein Beispiel dafür gegeben wird, wann der Test zu einem negativen Ergebnis führt. Die zugrundeliegende Anmeldung bzw. deren relevanter Patentanspruch betraf Clevidipin zur Verwendung in einem Verfahren zur Verringerung von Schäden aufgrund eines ischämischen Schlaganfalls (ISD), wobei die Anmeldung keinen Nachweis enthielt, dass diese medizinische Zielsetzung tatsächlich erreicht wurde (siehe Grund 1.3.1) 
 
Trotz des Mangels an Nachweisen wurde die medizinische Verwendung zur Verringerung von Schäden aufgrund eines ischämischen Schlaganfalls nicht als unzureichend offenbart angesehen, da der nächstliegende Stand der Technik lehrt, dass dieser Wirkstoff zur Behandlung einer anderen Art von Schlaganfall verwendet werden kann (Grund 1.4.3). Dem Anmelder wurde jedoch nicht gestattet, anhand neuer Daten nachzuweisen, dass Clevidipin im Vergleich zu anderen blutdrucksenkenden Mitteln bei der Behandlung von ischämischem Schlaganfall eine verbesserte Wirksamkeit und weniger Nebenwirkungen aufweist. Diese Wirkung war nach Ansicht der Kammer nicht „ableitbar“, auch wenn in der Anmeldung allgemein von „Wirksamkeit“ und dem Fehlen von „Nebenwirkungen“ die Rede ist:
 
...stellt die Kammer fest, dass diese Wirkung in der ursprünglichen Anmeldung weder in Betracht gezogen noch vorgeschlagen war. Tatsächlich erwähnte die ursprüngliche Anmeldung keinen Vergleich mit anderen blutdrucksenkenden Mitteln und umfasste sowohl die Behandlung des hämorrhagischen als auch des ischämischen Schlaganfalls (siehe z.B. Seite 3, zweiter Absatz). Daraus folgt, dass die vom Anmelder geltend gemachte technische Wirkung bei der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit gemäß G 2/21 nicht zu berücksichtigen ist. Und selbst wenn diese technische Wirkung von der ursprünglichen Anmeldung ableitbar gewesen wäre...
 
Obwohl die Schlussfolgerung der Kammer bei einem ähnlichen Sachverhalt nützlich sein könnte, ist die Entscheidung in Bezug auf die genaue Anwendung des Tests leider nicht sonderlich klar, wodurch die Ableitung allgemeiner Schlussfolgerungen erschwert wird. 

Es kann jedoch festgestellt werden, dass die Kammer den Begriff „schlussfolgern“ im obigen Test nach G 2/21 als „in Betracht ziehen“ oder „vorschlagen“ interpretiert. Der bei der Prüfung benutzte Begriff „von der technischen Lehre umfasst“ scheint sich indes nicht auf Situationen zu erstrecken, in denen die beabsichtigte Wirkung die Teilmenge einer genannten Wirkung ist, d.h. die Behandlung einer speziellen Art von Schlaganfall, wenn andere Arten in der ursprünglichen Anmeldung in allgemeiner Weise diskutiert werden. Davon unberührt erscheint es aber möglich, dass der Fall statt dessen an dem Testerfordernis „von derselben ursprünglich offenbarten Erfindung verkörpert“ scheitert – leider ist die Entscheidung diesbezüglich nicht sehr klar.
 
Unserer Ansicht nach ist die Entscheidung von Bedeutung, da sie als erste zu der Auffassung gelangt, dass eine Berufung auf neue Daten nicht möglich ist. Sie ist jedoch insofern beschränkt, als sie keine detaillierten Erklärungen liefert, wie die Kammer den Test tatsächlich angewandt hat. Wir erwarten, dass sich die Bedeutung des umstrittenen Tests nach G 2/21 durch die Entwicklung der Rechtsprechung allmählich herauskristallisieren wird, und sich dadurch die Rechtssicherheit in diesem wichtigen Punkt in Europa verbessert. Wir hoffen das Beste und halten die Augen offen.

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